US-GAAP vs. IFRS vs. HGB – Ein umfassender Überblick

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Kevin Merken
8.9.2025
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US-GAAP vs. IFRS vs. HGB – Ein umfassender Überblick

Die moderne Rechnungslegung fußt auf einer jahrtausendealten Tradition. Bereits in Ägypten und Mesopotamien vor rund 5000 Jahren dokumentierten Kaufleute ihre Handelsvorgänge und Vermögensaufstellungen. Im heutigen internationalen Kontext sind für viele deutsche Unternehmen vor allem drei Rechnungslegungsstandards relevant: das Handelsgesetzbuch (HGB), die United States Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) sowie die International Financial Reporting Standards (IFRS).

Nachfolgend erhältst du einen Einblick in die Grundzüge dieser drei Systeme, ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie konkrete Hinweise darauf, warum es für zahlreiche Unternehmen interessant sein kann, ihre Bilanzen ergänzend nach US-GAAP zu betrachten.

1. Historische Entwicklung und rechtliche Grundlagen

1.1 HGB

Das Handelsgesetzbuch (HGB) trat am 1. Januar 1900 zusammen mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in Kraft und geht auf das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 zurück. Das HGB wird stetig an internationale Entwicklungen angepasst. Maßgeblich waren hier vor allem EU-Richtlinien und Verordnungen, die zur Harmonisierung der Rechnungslegung in Europa führten.

Wesentliche Leitprinzipien des HGB sind der Gläubigerschutz und das Vorsichtsprinzip (unter anderem verankert in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Verluste und Risiken müssen frühzeitig erfasst, Gewinne dürfen hingegen nur berücksichtigt werden, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind.

1.2 US-GAAP

Die United States Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) haben ihren Ursprung in den USA. Als Reaktion auf den Börsencrash von 1929 und die Weltwirtschaftskrise wurde 1934 die unabhängige Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) gegründet. Ausgangspunkt der US-GAAP war eine 1939 etablierte Institution des American Institute of Certified Public Accountants (AICPA). Seit 1973 liegt die Verantwortung für die Ausarbeitung und Weiterentwicklung der US-GAAP beim Financial Accounting Standards Board (FASB).

US-GAAP sind stark regelbasiert und dementsprechend umfangreich. Sie verfolgen vorrangig das Ziel, Investoren (Shareholder) über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu informieren. Ein Grundprinzip ist der sogenannte „true and fair view“: Ein Jahresabschluss soll ein möglichst getreues Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln, weshalb nicht realisierte Gewinne gegebenenfalls schon vor einem tatsächlichen Verkauf bilanziert werden.

1.3 IFRS

Die International Financial Reporting Standards (IFRS) gehen auf das International Accounting Standards Committee (IASC) aus dem Jahr 1973 in London zurück und wurden ab 2001 vom International Accounting Standards Board (IASB) weitergeführt. Seit 2005 sind börsennotierte Unternehmen in der EU gemäß Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 verpflichtet, ihren Konzernabschluss nach IFRS zu erstellen.

Das IFRS-Regelwerk ist – wie die US-GAAP – investorenorientiert und folgt ebenfalls dem Prinzip des „true and fair view“. Allerdings gelten IFRS als etwas grundsatzbasierter (principles-based) als die stark detailreichen US-GAAP.

2. Unterschiede in Zielsetzung und Systematik

2.1 Gläubigerschutz vs. Investorenorientierung

Das HGB ist traditionell auf den Gläubigerschutz ausgerichtet. Dies spiegelt sich im Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) wider. Rückstellungen dürfen im HGB-Kontext schon für drohende Verluste oder Risiken gebildet werden, sobald sie erkennbar sind. Gewinne hingegen dürfen erst ausgewiesen werden, wenn sie tatsächlich entstanden und realisiert sind.

US-GAAP und IFRS rücken die Investoren in den Vordergrund. Das Ziel ist die Bereitstellung entscheidungsnützlicher Informationen für bestehende oder potenzielle Kapitalgeber. Deshalb werden häufig bereits nicht realisierte Wertsteigerungen (zum Beispiel bei marktgängigen Wertpapieren) in der Bilanz berücksichtigt.

2.2 Gesetzlicher Rahmen vs. privatrechtliche Organe

In Deutschland sind die Rechnungslegungsvorschriften integraler Bestandteil des HGB. Darüber hinaus ergänzen weitere Gesetze und Verordnungen, wie zum Beispiel das Einkommensteuergesetz (EStG) oder die Abgabenordnung (AO), die Auslegung.

In den USA werden die US-GAAP zwar von der öffentlichen Hand (SEC) anerkannt, beruhen jedoch auf privat initiierten Standards des FASB. Ein ähnliches Prinzip gilt für die IFRS, die ebenfalls durch ein privatrechtliches Gremium (IASB) weiterentwickelt werden, allerdings mit weltweitem Anspruch.

3. Praxisrelevante Aspekte und Beispiele

3.1 Trennung von Handels- und Steuerbilanz

Unternehmen in Deutschland müssen ihre Jahresabschlüsse nach HGB erstellen. Daraus wird regelmäßig auch die Steuerbilanz abgeleitet (Maßgeblichkeitsprinzip). Im US-amerikanischen System wird die Steuerbilanz getrennt von den US-GAAP erstellt. Diese Trennung kann für deutsche Unternehmen, die sich zusätzlich an den US-GAAP orientieren, eine gewisse Doppelbelastung in Bezug auf den Dokumentationsaufwand bedeuten.

3.2 Gewinn- und Verlustrechnung

Im HGB erfolgt die Gewinnrealisierung oft erst nach Abschluss langfristiger Projekte (beispielsweise bei Werkverträgen). Nach IFRS und US-GAAP hingegen wird der Gewinn aus solchen Projekten bereits anteilig über die Vertragslaufzeit verteilt, sofern bestimmte Kriterien erfüllt sind (Stichwort: Percentage-of-Completion-Methode).

3.3 Aktivierung selbst erstellter immaterieller Werte

Nach HGB besteht ein Aktivierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände (§ 248 Abs. 2 HGB). Im IFRS-Umfeld sind bestimmte selbst erstellte immaterielle Werte sogar aktivierungspflichtig, wenn die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind (beispielsweise IFRS-Regelungen zur Entwicklung). In den US-GAAP besteht oft ein engerer Rahmen für solche Aktivierungen, zugleich sind die Vorschriften aber sehr detailliert.

3.4 Vorsichtsprinzip und stille Reserven

Ein typisches Merkmal der HGB-Rechnungslegung ist die Bildung stiller Reserven durch niedrige Bewertungen oder höhere Rückstellungen. In US-GAAP und IFRS ist die Möglichkeit zur Bildung stiller Reserven stark eingeschränkt, weil nicht realisierte Gewinne durchaus bilanziert werden, was die Bewertung der Vermögensgegenstände oft näher an ihre aktuellen Marktwerte heranführt.

4. Warum kann es für Unternehmen vorteilhaft sein, US-GAAP einzusetzen?

In einer immer stärker vernetzten Weltwirtschaft genügt vielen Unternehmen die HGB-Bilanz allein nicht mehr, um alle Adressatengruppen zufriedenzustellen. Gerade Investoren und Analysten, die sich international engagieren, schauen in vielen Fällen bevorzugt auf eine US-GAAP-Bilanz, um die Kennzahlen eines Unternehmens zu beurteilen. Es gibt Unternehmen, die zwar in Deutschland ansässig sind, aber wesentliche Geschäftsfelder in den USA oder anderen nicht-europäischen Märkten haben. Für diese ist die Transparenz gegenüber internationalen Kapitalgebern von großer Bedeutung.

Außerdem kann eine Betrachtung nach US-GAAP für unternehmensinterne Zwecke hilfreich sein. Im Rahmen von Marketing- und Sales-Analysen ist es oft wichtig, Ausgaben und Umsätze länderspezifisch nachvollziehbar zu machen. Wer zum Beispiel wissen möchte, welcher prozentuale Anteil am Gesamtbudget in Marketing und Vertrieb geflossen ist, kann unter US-GAAP häufig detailliertere und klar definierte Ausweisungen vornehmen, als es die meist summarische Darstellung einer rein handelsrechtlichen BWA (Betriebswirtschaftliche Auswertung) erlaubt.

Folgende Aspekte machen den US-GAAP-Abschluss für viele Unternehmen attraktiv:
  • Erleichterter Zugang zum US-Kapitalmarkt: Wer Investoren aus den USA gewinnen möchte oder eine Börsennotierung plant, profitiert von einer Bilanz, die nach US-GAAP aufbereitet ist.
  • Hohe Anerkennung bei Investoren weltweit: US-GAAP gilt in zahlreichen Branchen und Ländern als „Goldstandard“ der Rechnungslegung.
  • Detaillierte Vorgaben: Für viele unternehmensinterne Auswertungen – etwa in Marketing, Forschung und Entwicklung oder im Vertrieb – liefern US-GAAP-Berichte differenziertere Informationen, da sie zahlreiche Einzelfallregelungen enthalten.
  • Internationale Vergleichbarkeit: Gerade für Konzerne mit Tochtergesellschaften in den USA kann es effizienter sein, sämtliche Abschlüsse auf US-GAAP zu harmonisieren.

5. IFRS als starker Konkurrent: Pflicht für börsennotierte Konzerne in der EU

Trotz der Vorteile von US-GAAP ist in Deutschland für börsennotierte Unternehmen auf EU-Ebene die IFRS-Pflicht (Verordnung (EG) Nr. 1606/2002) für den Konzernabschluss zu beachten. Dadurch haben sich die IFRS in Europa fest etabliert. US-GAAP wird hingegen nicht durch die EU vorgeschrieben, genießt jedoch insbesondere im US-Kapitalmarktumfeld ein äußerst hohes Ansehen.

Ein Umstieg von IFRS auf US-GAAP oder umgekehrt kann zudem komplex sein, da beide Systeme sich zwar angleichen, aber immer noch wesentliche Unterschiede in der Bewertung und Darstellung bestimmter Geschäftsvorfälle aufweisen.

6. Fazit und Ausblick

Der Blick auf HGB, US-GAAP und IFRS zeigt, dass alle drei Rechnungslegungssysteme je nach Adressatenkreis und Zielsetzung ihre Berechtigung haben.

  • Das HGB bleibt das gesetzliche Kernelement der deutschen Rechnungslegung und genießt durch die Verknüpfung mit dem Steuerrecht und der Ausschüttungsbemessung einen hohen Stellenwert – insbesondere, wenn der Schwerpunkt eher regional-national liegt und Banken sowie Gläubiger eine konservative Bewertung fordern.
  • Die IFRS sind innerhalb der EU für börsennotierte Unternehmen verpflichtend und fördern vor allem die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse im europäischen und globalen Kontext.
  • Die US-GAAP legen ein großes Augenmerk auf die Bedürfnisse von Investoren und Aktionären, weisen eine sehr starke Detailregelung auf und finden weltweit Beachtung. Sie eignen sich hervorragend für Unternehmen, die in den USA notiert sind, dort Investorengelder anziehen möchten oder fundierte interne Auswertungen anstreben.

Insbesondere die erwähnte Investorenorientierung der US-GAAP und die im Vergleich zu einer reinen BWA oft höhere Aussagekraft bei der Budget- und Aufwandsanalyse sorgen dafür, dass US-GAAP für viele international agierende deutsche Unternehmen eine sinnvolle Ergänzung ist. Nicht zuletzt steigern Berichte nach US-GAAP die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen gegenüber globalen Kapitalmärkten und erleichtern den Zugang zu diesen.

Wer sich für den zusätzlichen Schritt entscheidet, nach US-GAAP zu bilanzieren, sollte jedoch beachten, dass dies eine umfangreiche fachliche Expertise und detaillierte Dokumentationen voraussetzt. Denn während das HGB klar und verhältnismäßig knapp gesetzlich verankert ist, setzen US-GAAP auf einen riesigen Pool von Einzelfallregelungen. Gute Vorbereitung, Know-how und professionelle Beratung sind daher unabdingbar.

In Zeiten zunehmender Globalisierung kann die Mehrarbeit jedoch lohnend sein: Wer sich einmal auf US-GAAP-Standards eingestellt hat, genießt international eine hohe Anerkennung und verschafft sich bei der Unternehmenssteuerung selbst einen differenzierten Blick auf Umsätze, Kostenstrukturen und Investitionsmöglichkeiten. Du hast Fragen oder brauchst Unterstützung? Dann melde dich bei uns!

Rechtsgrundlagen und weiterführende Hinweise

  • Handelsgesetzbuch (HGB), insbesondere §§ 238 ff. und § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB
  • Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 für die Verpflichtung zu IFRS im Konzernabschluss börsennotierter Gesellschaften
  • American Institute of Certified Public Accountants (AICPA) und Financial Accounting Standards Board (FASB) für US-GAAP
  • IASB (International Accounting Standards Board) und IFRS Foundation für IFRS

Mit diesem Wissen kannst du besser abschätzen, wie sinnvoll eine zusätzliche oder alternative Anwendung der US-GAAP für dein Unternehmen sein könnte – insbesondere, wenn dein Geschäftsmodell internationale Investoren im Blick hat oder du detaillierte Erkenntnisse über Aufwendungen beispielsweise im Bereich Marketing und Vertrieb benötigst.